Es ist kurz nach 05.00 Uhr. Ich liege noch im Bett, als plötzlich ein pelziges Tier auf mich springt. Ich schrecke auf. Es ist Nachbars Katze, die sich Zugang zu meinem Schlafzimmer verschafft hat, auf das Bett gesprungen ist, und mich ziemlich unsanft aus dem Schlaf reisst. Obwohl sie genau weiss, dass sie hier nichts verloren hat, sitzt sie da und schnurrt, als wäre sie die Unschuld in Katzengestalt. Na ja, ich hatte ohnehin vor, heute zeitig aufzustehen. Jedoch nicht auf diese Weise. Und nicht ganz so früh. Aber gewirkt hat es: Ich bin hellwach. Nach dem ersten Schreck folgt bald der zweite: Draussen ist ein dichter Wolkendeckel. Sollte gemäss den Wetterfröschen heute nicht ein strahlend schöner Tag werden bei perfekten 21 Grad? Was nicht ist, kann hoffentlich noch werden...
Spontan entstanden, aber akribisch geplant ist die heutige Tour. Fast ewig habe ich an der Linie gefeilt. Lange Zeit war eigentlich nur eines klar: Über Luzern oder Interlaken wird es nicht gehen. Ich warte noch, bis es genug hell ist und starte um etwa 07.00 Uhr. Entschlossen, fast schon ein wenig verbissen fahre ich Richtung Westen. Ganz nach Anita Weyermann: Gring ache u fahre. Heute wird mich nichts und niemand aufhalten. Keine Schaltung, keine Kette, keine Bremse und schon gar kein GPS. Dazu habe ich mir im Sinne einer letzten Chance ein neues GPS-Gerät gekauft, dessen Akku mindestens 15 Stunden durchhalten sollte. Kurz nach dem Start schalte ich meinen Geist auf Autopilot und fahre zeitweise wie in Trance. Die Route ist im Kopf gespeichert...
Es ist ungewohnt, den Schatten im Westen zu sehen. Normalerweise sehe ich ihn immer im Osten. Aber im Westen gefällt er mir besser. Irgendwann stehe ich wieder an einem wichtigen "Knotenpunkt" meiner Freiberge-Touren, dem Wäsmeli unterhalb des Grenchenbergs. Es folgt eine längere Abfahrt, die zuerst zum Unteren Bürenberg, dann über die Sprachgrenze nach Péry führt. Obwohl diese Route auf vielen Karten als "kleine Strasse" markiert ist, hat man hier meist eine Naturstrasse unter den Rädern, was so manchem Rennvelofahrer die Freude verderben dürfte. Richtung Westen ist mittlerweile viel blauer Himmel zu sehen, was mich zuversichtlich stimmt. In Péry fülle ich sicherheitshalber die Trinkvorräte auf, danach geht es Richtung Corgémont weiter...
Hier folgt ein längerer Aufstieg auf schmaler Teerstrasse zum Hof Jeanbrenin. Jetzt kommt die Bise. Und zwar die Bise de Corgémont, danach die Bise de Cortébert. Dann nähere ich mich dem Mont Crosin, wo sich sprichwörtlich alles um Windkraft dreht. Etwa zwei Kilometer vor der Passhöhe biege ich rechts ab und fahre runter nach Mont-Tramelan, einer deutschen Sprachinsel. Rund 70 Prozent der Bewohner sprechen hier deutsch, genauer gesagt, Berndeutsch. Und das mitten im französischsprachigen Berner Jura. Wie mir ein Bauer in ebendiesem Dialekt sagt, handele es sich bei ihnen um Emmentaler, deren Vorfahren vor rund 500 Jahren vertrieben wurden und sich hier niederlassen durften oder mussten.
Tourdaten: Weite 177,0 km / Höhe 3710 m / Fahrzeit 11:14 h
GPS-Aufzeichnung der Tour: Goumois-Freiberge
Nach der Geschichtslektion passiere ich die Grenze zum Kanton Jura und befinde mich nun in den Freibergen. Die Pferdedichte nimmt enorm zu. Leider auch wieder die Wolkendichte. Wetter mit Note 4,5. Über La Chaux-des-Breuleux und Les Emibois erreiche ich Muriaux. Den Hauptort der Franches-Montagnes, Saignelégier, umfahre ich irgendwie und nehme die Abfahrt an den Doubs in Angriff. Diese verläuft zuerst über eine Wiese, dann auf einem Pfad, der oft nur handtuchbreit ist. Meist befindet man sich im Wald. Etwa in der Mitte des Hinunterhügels (besser bekannt als Downhill) kreuzt man eine Hauptstrasse. Gegen Ende des Trails folgt noch eine kurze Treppe. Schliesslich erreiche ich ein Dorf, das in zwei Ländern liegt: Goumois...
Mein lieber Doubs, hier bin ich wieder! Ich passiere die Brücke und damit die Landesgrenze und fahre ins französische Dorf Goumois. Einfach nur, um da gewesen zu sein. Dann geht es auf der Schweizer Seite einige Hundert Meter dem Doubs entlang, bevor ich rechts in eine Schlucht abbiege. Irgendwo da hinten soll ein schöner Felsenkessel mit einem Wasserfall sein, der Bief de Vautenaivre. Nach etwa anderthalb Kilometern stehe ich vor einer Treppe, die zu besagtem Ziel führt. In der Tat ein imposantes Werk, das die Natur hier geschaffen hat. Genau der richtige Ort für eine kurze Pause. Der Wasserfall ist zur Zeit nur ein Rinnsal. Ich kann mir vorstellen, dass er, wenn er viel Wasser führt, eine anständige Geräuschkulisse bietet. Schliesslich fahre ich wieder zurück an den Doubs.
Der Doubs bildet hier zwar die Landesgrenze, liegt jedoch vollständig in Frankreich. Dem Fluss entlang geht es durch das enge Tal Richtung Moulin Jeannotat. Allerdings biege ich noch vorher ab und nehme den Aufstieg nach Les Pommerats unter die Räder. Zuerst auf einem Waldweg, später auf schmaler Strasse führt der Weg hinauf. Steil ist es nicht. Dennoch ziehe ich hier eine kleine Formkrise ein. Das Strässchen von Malnuit nach Les Pommerats bin ich seit 2010 zweimal gefahren, und beide Male war meine Fitness hier abwesend. Und wir wollen heute ja nichts Neues anfangen. Keine Ahnung, was mein Körper gegen diese Strasse hat. Kurz vor dem Dorf Les Pommerats geht es in ein kleines Tal. An einem braunen See vorbei führt der Weg nach Le Bémont...
Kurz vor dem Weiler La Bosse dann die perfekte Freiberge-Szenerie: Etwa 20 Pferde sämtlicher Couleur laufen auf mich zu, die Sonne kommt zum Vorschein – Potenzial für das Bild des Jahres. Ich nehme sofort den Fotoapparat. Just in dem Moment fliegt ein extrem lärmiges Flugzeug übers Land, und weg sind die Pferde. Geflohen auf eine Weide hinter dem Wald. Tausend Dank. Via Le Bémont wird Saignelégier ein zweites Mal umfahren, diesmal nördlich. Das hat allerdings den Preis, dass ich Tramelan ansteuern muss, um nochmals die Trinkvorräte aufzufüllen. Auf einigen sehr schönen Wegen geht es Richtung Südosten. Den (touristisch) etwas überlaufenen Etang de la Gruère lasse ich sprichwörtlich links liegen. Den werde ich eventuell nächstes Jahr gezielt ansteuern...
Ein kurzer Singletrail führt mich wieder in den Kanton Bern, und wenig später erreiche ich das nicht besonders schmucke Tramelan. Nach kurzer Pause geht es mit gefülltem Rucksack weiter. Am unmittelbar folgenden Aufstieg zum Hof Prés Renaud sind die Beine noch kalt. Der kurze, aber recht steile Anstieg zieht mir fast ein bisschen den Zahn. Auf Wegen unterschiedlicher Beschaffung bike ich schliesslich via La Tanne hinunter zum Pierre Pertuis, wo der Tacho rund 125 gefahrene Kilometer anzeigt. Die Zeit habe ich komplett vergessen. Die zunehmende Länge des Schattens verleitet mich jedoch zu einem Blick auf die Uhr. Schon nach 17.30 Uhr! Die Beine sind mittlerweile wieder warm. Gut so, denn es folgt der letzte ernsthafte Uphill der Tour, der auf das Montoz-Plateau führt...
Ein kurzer Singletrail führt mich wieder in den Kanton Bern, und wenig später erreiche ich das nicht besonders schmucke Tramelan. Nach kurzer Pause geht es mit gefülltem Rucksack weiter. Am unmittelbar folgenden Aufstieg zum Hof Prés Renaud sind die Beine noch kalt. Der kurze, aber recht steile Anstieg zieht mir fast ein bisschen den Zahn. Auf Wegen unterschiedlicher Beschaffung bike ich schliesslich via La Tanne hinunter zum Pierre Pertuis, wo der Tacho rund 125 gefahrene Kilometer anzeigt. Die Zeit habe ich komplett vergessen. Die zunehmende Länge des Schattens verleitet mich jedoch zu einem Blick auf die Uhr. Schon nach 17.30 Uhr! Die Beine sind mittlerweile wieder warm. Gut so, denn es folgt der letzte ernsthafte Uphill der Tour, der auf das Montoz-Plateau führt...
Anfangs steil und etwas bachbettartig geht es dem höchsten Punkt der Tour auf 1294 m entgegen. Immer wieder schön, über dieses Hochplateau zu fahren. Nach leichtem Auf und Ab erreiche ich wieder das Wäsmeli oberhalb von Grenchen. Auf der Abfahrt baue ich noch den einen oder anderen Singletrail ein, ansonsten liegen wegen der fortgeschrittenen Zeit keine grossen Experimente mehr drin. Kurz bevor die Lampen angehen, schiebe ich das Bike zu Hause in die Garage. Der Akku des neuen GPS-Geräts hat nach über 13 Stunden Betriebsdauer noch 32 Prozent. Sehr gut! Erstaunlicherweise hat auch mein Akku noch einige Prozent. Aber mal sehen, wie es sich anfühlt, wenn der Körper heruntergefahren ist. Das wird jedoch noch Stunden dauern...
Am Ende bin ich erleichtert, mal wieder eine grössere Tour ohne technische Zwischenfälle hinter mich gebracht zu haben, was in letzter Zeit fast schon selten geworden ist. Einzig der Umwerfer streikte noch ab und zu und macht damit Werbung, auf eine Einfach-Übersetzung umzusteigen. Wahrscheinlich gibt es im Jahr 2018 sogar ein neues Bike. Erleichtert bin ich auch körperlich: Zirka ein Kilo Körperfett dürften sich heute in nützliche Energie umgewandelt haben. Morgen wird es keine Tour geben, ich habe einen Termin. Ich stelle die Katze auf 07.30 Uhr…
Am Ende bin ich erleichtert, mal wieder eine grössere Tour ohne technische Zwischenfälle hinter mich gebracht zu haben, was in letzter Zeit fast schon selten geworden ist. Einzig der Umwerfer streikte noch ab und zu und macht damit Werbung, auf eine Einfach-Übersetzung umzusteigen. Wahrscheinlich gibt es im Jahr 2018 sogar ein neues Bike. Erleichtert bin ich auch körperlich: Zirka ein Kilo Körperfett dürften sich heute in nützliche Energie umgewandelt haben. Morgen wird es keine Tour geben, ich habe einen Termin. Ich stelle die Katze auf 07.30 Uhr…
Höhenprofil
GPS-Aufzeichnung der Tour: Goumois-Freiberge