Fast schon herbstlich mutet der morgendliche Blick aus dem Fenster heute an. Hochnebel, na sowas. Ein Phänomen, an das man sich so langsam aber sicher wieder gewöhnen darf. Hat aber Zeit. Denn Anfang August wird sich der Deckel nicht lange halten können, zu stark ist die Sonne noch. Mein Bike ist eigentlich wegen eines Kettendefekts nicht einsatzfähig. Diesen hätte ich längst beheben (lassen) müssen, was ich jedoch in der enormen Hitze der letzten Tage verschwitzt habe. Die heutige Tour mit lädierter Kette zu fahren, ist grober Unfug. Drei Gründe gibt es aber, es trotzdem zu tun: meine Unbelehrbarkeit, meine Motivation und natürlich das schöne Wetter. Kurz nach 09.00 Uhr starte ich bei einer leichten Bise Richtung Deitingen und quere kurz darauf bei Attisholz die Aare...
Die grandiose GPS-Technik zieht mich auch heute wieder voll in ihren Bann: Faszinierend, wie das vor gut einem Jahr gekaufte Gerät plötzlich nicht mehr die Fahrtrichtung anzeigt, sondern sich strikt nach Norden ausrichtet. Phantastisch, wie es selbst bei voller Fahrt in offenem Gelände ständig auf "Auto-Pause" schaltet, obwohl es dies erst bei Stillstand tun sollte. Beeindruckend, wie konsequent es nur etwa die Hälfte des tatsächlichen Tempos anzeigt. Sensationell, wie sich die Neigungsanzeige ab etwa 10 Prozent Steigung ausschaltet nach dem Motto: Rate doch mal, wie steil es jetzt ist! Und das alles für nur 650 Franken! Da kann man wirklich nicht meckern. Da kann man nur noch den Kopf schütteln. Keine Sorge, das Vorgängermodell, das ich hatte, war keinen Deut besser...
Aber ich habe absolut nicht im Sinn, mir den heutigen Tag von überteuertem Elektroschrott verderben zu lassen. Dazu hat die defekte Kette schon eher das Potenzial, die bei starkem Druck ab und zu springt. Die Aufstiege fahre ich daher wie auf rohen Eiern, sehr sachte. Die hochnebelartigen Wolken haben mittlerweile der Sonne Platz gemacht, der Schweiss beginnt ordentlich zu tropfen. Ganz klar ist mein heutiges Ziel noch nicht. Ich fahre via Rüttenen Richtung Bettlach und rauf zum Stierenberg. Wenig später überquere ich auf einem kurzen Singletrail die Sprachgrenze und erreiche bald darauf den Romontberg. Und jetzt? Als ich in der Ferne den Gestler sehe, kann ich es nicht lassen. Ich muss dahin. Der armen Kette darf ich das nicht sagen, die würde mir glatt ihr Mittelglied zeigen...
|
Der Kater hat sich ergeben |
|
Romontberg, weit hinten der Chasseral |
|
Zwischen La Heutte und Sonceboz |
Doch der Himmel ist tiefblau, die Fernsicht sehr gut, und ab morgen soll das Wetter bis Ende Woche äusserst besch…eiden werden. Also ab zum Chasseral. Hier auf dem Romontberg befinde ich mich auf gut halbem Weg dorthin, horizontal wie vertikal. Das Restaurant ist glücklicherweise offen, so dass ich noch etwas Trinkbares mit auf den Weg nehmen kann. Der Mini-Marché in Péry wird um 12.00 Uhr schliessen, und viele andere Verpflegungspunkte sind mir im weiteren Verlauf der Strecke nicht geläufig. Denn der heutige Montag ist auch ein Sonntag: Beizensonntag. Ich bike über den Höhenrücken des Romontbergs und nehme dann einen etwas bachbettartigen Weg, der runter nach Péry führt. Via La Heutte geht es leicht erhöht an Sonceboz-Sombeval vorbei...
Jetzt beginnt die Hauptsteigung zum Chasseral. Am Hof Le Cernil vorbei führt der Weg Richtung Pierrefeu und Métairie de Morat auf 1461 m. Obwohl man sich hier schon sehr nahe am Chasseral befindet, ist von der markanten Antenne noch immer nichts zu sehen. Das ändert sich jedoch kurz darauf, als die 1500er-Höhenlinie überwunden wird. Jetzt noch eine leichte Gegensteigung und eine kurze Rampe, dann steht man auf 1606 m, dem höchsten Punkt des Gestlers, wie der Chasseral auf Deutsch heisst. 16 Grad und wie immer ordentlich Wind hat es. Von hier aus hat man eine gewaltige Fernsicht, die unter anderem drei Seen beinhaltet. Für mich ist heute jedoch eher der Weg das Ziel, nämlich der Gratweg, der über den gesamten Bergrücken bis nach Frinvillier runter führt...
|
Sonceboz-Sombeval |
|
Unterwegs Richtung Pierrefeu |
|
Chasseral von der Vacherie de Nods aus |
|
Chasseral, Blick Richtung Süden |
|
Chasseral, 1606 m |
|
Chasseral mit Gleitschirmler |
Direkt bei der Antenne beginnt der Einstieg in den langen Kretenweg, der grösstenteils ein Singletrail ist. Die ersten paar Meter sind für meine bescheidenen Fahrkünste etwas zu verblockt, danach lässt der Technikanspruch allmählich nach. Hier runter zu fahren, ist einfach genial, ein wahrer Jura-Klassiker. Mit viel Spass und häufig bombastischer Aussicht geht es den Singletrail hinab Richtung Les Colisses du Haut, wo der Weg vorübergehend etwas breiter wird. Der einsame Hof Les Colisses du Haut ist zu meinem Glück und meiner Überraschung auch ein Restaurant. Ich brauche Flüssigkeit und kehre kurz ein. Ich bin der einzige Gast hier. Der Frau, die sich mir nähert, werfe ich ein nettes "Bonjour" zu, das sie direkt mit einem "Grüessech" erwidert...
|
Gratweg mit Ausblick |
|
Die Thermik passt anscheinend auch... |
|
Noch ein Gleitschirmflieger am Chasseral |
|
Blick zurück... |
|
Gratweg, rechts am Bildrand der Bielersee |
|
Schöner Singletrail, manchmal sogar doppelt |
Immer wieder peinlich, wie man schon nach einem einzigen Wort als Deutschschweizer entlarvt ist. Die Frau ist freundlich, bilingue und hat ein gewisses Redebedürfnis. Nach der etwas unverhofften Pause geht es mit leichtem Auf und Ab, im Mittel immer etwa auf 1300 m, weiter. Erst nach Pré Carrel verläuft der Pfad wieder eindeutig talwärts zum Hof Les Coperies. Rund 13 Kilometer habe ich von der Antenne bis hierher auf dem praktisch schnurgeraden Gratweg zurückgelegt. Und jetzt folgt noch das "Schlussbouquet" nach Frinvillier. Zuerst flowig, dann mit immer mehr Kehren führt der Weg hinab. Einige der Kurven sind für mich zu eng. Ich bin kein besonders begabter Technik-Biker, habe aber trotzdem viel Spass an dem, was ich tue. Auch hier...
Bei Frinvillier wird man recht unsanft auf eine Hauptstrasse ausgespuckt. Über einen Kilometer Höhe hat man jetzt vernichtet, dafür aber 10 Grad Lufttemperatur gewonnen. Frinvillier liegt in einer Senke, die von zwei Schnellstrassen überspannt wird. Dazu eine Bahnlinie und eine Hauptstrasse. Alles da, was man sich so wünscht. Dazu 26 Grad. Und die Bise von nun an als Gegner. Aber deren Kühlung nehme ich gerne. Ich habe zu wenig getrunken, wie fast immer (auch hier unbelehrbar) und bin ziemlich gekocht. Auch das GPS-Gerät meldet jetzt nach nur gut 7 Stunden Betriebsdauer "Batterie schwach". Zirka eine halbe Stunde pro Quartal nimmt die Batterieleistung des tollen Geräts ab. Aber das passt zum Gesamteindruck wie die Fliegen zur Hundekacke...
|
Bei Les Colisses du Haut |
|
Ausblick bei Pré Carrel |
|
Blick Richtung Biel bei La Ragie |
|
Bei Les Coperies |
|
Klus von Rondchâtel |
|
Weg Richtung Lommiswil |
Von Frinvillier geht es kurz, aber recht steil hinauf Richtung Vauffelin. Die Kette rattert, aber sie hält. Wahrscheinlich werde ich noch einige weitere Teile auswechseln müssen, aber Strafe muss sein. Dem Bözingenberg entlang fahre ich auf einsamen Waldwegen nach Romont. Hier folgt noch der Firsi-Trail, der mit rund 1,5 Kilometern schon fast ungewohnt kurz ist. In Lommiswil ist dann nochmals eine Trinkpause angesagt. Hier beendet das GPS-Gerät seine ohnehin miese Arbeit vorzeitig, der Akku ist schon leer. Immer positiv denken: Viel schlechter wird die Datenqualität durch das Abschalten nicht. Via Langendorf, St. Niklaus und Deitingen wird die Tour beendet. Sie war ein Hammer, die Kette hat gehalten, und ich habe fertig. Genug Unfug – für heute…
Höhenprofil (Datenleck ab km 103 wegen leerem GPS-Akku)
Tourdaten: Weite 130,9 km / Höhe 2930 m / Fahrzeit 8:45 h
GPS-Aufzeichnung der Tour: Chasseral-Gratweg
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen