Kaum zu glauben: Der äusserst trübe Februar 2018 verabschiedet sich doch tatsächlich mit schönem Wetter. Und den Blick auf die Prognose für die nächsten zwei Wochen sollte man einmal mehr vor dem Essen wagen, um dieses nicht gleich wieder herzugeben. Gestern versoff ich beim Althüsli in hohen Schneewechten, weil ich die ganze Situation da oben unterschätzt habe. Heute will ich zeigen, was ich daraus gelernt habe – nämlich gar nichts. Denn um es vorwegzunehmen: Auch diese Tour sollte nicht nach Plan A gelingen. Erneut sind einige Lagen Kleider nötig, um der Kälte zu trotzen. Um 09.00 Uhr fährt das bunte Michelin-Männchen mit dem dicken Fahrrad los. Minus 12 Grad sind es beim Start. Nanu, haben die Fasnächtler etwa völlig umsonst Konfetti rumgeschmissen?
Zwar liebe ich die Kälte, aber zu viel Liebe kann auch erdrückend sein und einem die Luft zum Atmen nehmen (Gruss, Rosamunde Pilcher). Und zu viel Winter-biking kann der Fitness abträglich sein. Allein im Februar habe ich schon über 700 Kilometer und 17'500 Höhenmeter mit dem Fatbike in den Knochen. Das ist too much, wie der Franzose sagt, wenn er des Englischen mächtig ist. Aber heute scheint die Sonne, es ist staubtrocken – mit einem Wort: perfekt. Und ich bin motiviert. Dieser wahrscheinlich letzte richtige Wintertag darf nicht ungenutzt verstreichen. Schon ab morgen soll es ja nicht nur März, sondern auch nass und deutlich wärmer werden. Der Schlechtwetterphase sehe ich jedoch nicht nur negativ entgegen, kann ich sie doch zur Regeneration nutzen...
Ich mache mich auf den Weg an die Aare, folge dieser eine Weile und nehme dann den Aufstieg zum Weissenstein. Die Passstrasse ist gegenwärtig für den motorisierten Verkehr gesperrt und die Schlittelbahn geschlossen. Gute Voraussetzungen. Kurz vor dem Einbiegen in die Strasse bin ich einen Moment unachtsam und mache einen Abflug. Dabei falle ich genau auf das linke Knie. Mit dem schmerzenden Knie relativieren sich die guten Voraussetzungen, um die steile Strasse hochzufahren. Immerhin ist diese im unteren Bereich meist trocken. Beim Nesselboden folgt eine eisige Passage, dann geht es auf schneebedeckter Fahrbahn weiter. Ich versuche dabei nicht zu viel an mein Knie zu denken...
Auf dem Weissenstein angekommen, bike ich der Langlaufloipe entlang, die über eine kleine Hochebene führt. Die Winterlandschaft ist herrlich und lässt die Knieschmerzen ein wenig vergessen. Erst als ich mich bücken muss, werde ich unsanft wieder daran erinnert. Die Datenqualität des teuren GPS-Geräts ist einmal mehr überragend: Die Passstrasse hat natürlich keine 22 Prozent maximale Steigung, sondern nur 1,8. Auf dem Weissenstein sind es selbstverständlich nicht minus 11 Grad, wie MeteoSchweiz behauptet, sondern plus 3. Und ich befinde mich hier oben nicht auf 1280 m, wie die Landeskarte einem einreden will, sondern auf 1360 m. Sicherlich trägt auch der Wetterwechsel dazu bei, dass die Höhenangaben mal wieder Schrott deluxe sind...
Richtung Westen ist nämlich bereits das Ende des Winters am Himmel zu sehen – in Form aufziehender Warmfrontbewölkung. Als ich mit dem Fattie über die Hochebene flitze, riskiere ich mal einen scheuen Blick Richtung Röti. Kann ich da hochfahren, ja oder nein? Die korrekte Antwort sollte "jein" lauten. Auf den ersten Metern habe ich keine Chance, es rutscht und spult im vom Winde verwehten Schnee. Selbst zu Fuss ist es mühsam. Der zweite Teil ist mit etwas Murks fahrbar. Am Schluss des Aufstiegs muss ich auf der Wiese ein paar Kehrschlaufen fahren, um den Triangulationspunkt auf knapp 1400 m zu erreichen. Das Knie spüre ich zum Glück etwas weniger, oder aber das Adrenalin überdeckt den Schmerz...
Keine anderen Biker hier oben bei dem schönen Wetter? Wanderer? Skifahrer? Schneeschuhläufer? Nee, nix los. Stört mich nicht wirklich. Schneehöhe: zirka 10 bis 400 cm. Ein Markenzeichen dieses Winters, in dem es immer nur waagrecht geschneit hat. Die Kälte ist an der Sonne auszuhalten. Allerdings spürt man sie immer mehr, je länger man sich nicht bewegt. Schliesslich will ich zum Balmberg absteigen. Doch das sollte deutlich schwieriger werden als gedacht, obwohl ich gleich drei Pläne dafür habe: Plan A: Ich steige den steilen, mir unbekannten Singletrail hinab, der zur Bergstation des Skilifts führt und bike dann die Skipiste runter. Einen potenziell gefährlichen Weg ausgerechnet im Winter zu erkunden, ist natürlich absolut vernünftig...
Also folge ich einer einsamen Schneeschuhspur, die vor einem Schild "ACHTUNG, im Winter gefährlicher Weg! Nicht begehbar!" um 180 Grad dreht. Der mit Adrenalin vollgestopfte Fatbiker tut in einem Anflug von Vernunft dasselbe. Es folgt somit Plan B: Ich fahre zurück Richtung Weissenstein und nehme den Trail weiter unten, den ich im Sommer häufig fahre. Dort angekommen, stelle ich fest, dass auch dieser Weg wegen hoher Schneewechten zu gefährlich ist. Auch ohne Warnschild. Nun kann ich die Skipistenfahrt leider abhaken und muss zu Plan C greifen: dem "normalen" Wanderweg zum Balmberg. Dazu fahre ich noch ein paar Meter durch den Tiefschnee hinab, um dann ein Déjà-vu haben: auch hier ein Schild mit der Aufschrift "ACHTUNG, im Winter gefährlicher Weg! Nicht begehbar!"...
Ich probiere kurz, kehre aber rasch um. Es ist mir definitiv zu heikel. Wenn ich hier seitlich den Abhang abrutsche und liegen bleibe, kann ich vielleicht noch als Bike-Ötzi Karriere machen, sollte man mich in einigen Hundert Jahren finden. Na ja, lassen wir die Übertreibungen. Rauf war kein Problem, aber wie komme ich jetzt zeitig runter? Um 19.30 Uhr habe ich noch ein Date mit Peach Weber. Eine nordseitige Abfahrt kommt genauso nicht in Frage wie der schlecht erhaltene Downhill-Trail oder gar die Passstrasse nach Oberdorf. Ich liebäugle kurz mit dem Schilizmätteli-Downhill beim Hinteren Weissenstein, entscheide mich jedoch für einen mir unbekannten Singletrail, der in den Schofgraben hinabführt. Diesen wollte ich im Sommer mal erkunden, nur leider kam es nicht mehr dazu...
Als recht steil, aber dennoch nicht besonders gefährlich schätze ich ihn nach kurzem Blick auf das GPS ein. Ich folge wieder einer Schneeschuhspur, die zwar das steile Downhillen bzw. Downsnowen in die Schlucht nicht gerade erleichtert, mir aber immerhin grob den Weg weist, den man im Schnee ja nirgends sieht. Und das GPS hat in diesem Gelände einige Schwächen. Als die Spur auf halber Höhe links abbiegt, muss ich den Trail alleine zwischen den Bäumen suchen. Meine Güte, hier unten kommt definitiv kein Briefträger mehr! Schliesslich erreiche ich in der ziemlich dunklen Schlucht den gefrorenen Schofbach, überquere diesen und muss danach noch ein paar Hundert Meter leicht bergauf fahren. Schlussendlich komme ich bei der Talstation des Bödeli-Skilifts wieder ans Tageslicht...
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Zurück beim Weissenstein |
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Schofbach auf rund 1000 m ü. M. |
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Talstation Skilift Bödeli beim Balmberg |
Der Balmberg ist erreicht; ich bin froh, hier zu sein. Der spontane Plan D musste es richten. Und er war sogar ganz passabel. Wie naiv ich doch sein kann. Eigentlich weiss ich genau, dass hier viele Wege im Winter meist unpassierbar sind. Und im Waagrecht-Schnee-Winter 2017/18 sind sie es sowieso. Die anschliessende Fahrt vom Balmberg über den Stierenberg sowie die Abfahrt Richtung Hofbergli sind dann wieder wunderbar und versöhnlich. Schnee hat es hier zwar nicht mehr so viel. Trotzdem bin ich froh, das Fattie unter dem Hintern zu wissen. Nach dem Hochkreuz verlasse ich ziemlich rasch die vierstellige Meereshöhe und somit auch den Schnee und fahre auf trockenen Pfaden hinab Richtung Attiswil und Wiedlisbach...
Auf dem restlichen Weg baue ich auch noch ein paar Trails ein, die, sollte die Langfrist-Wetterprognose zutreffen, bis nach Ostern nicht mehr trocken sein werden. Erst nach 17.00 Uhr geht die 22. Tour des Jahres zu Ende. Mein Date mit Peach Weber ist zum Glück nicht gefährdet. Das hätte er mir nie verziehen. Am heutigen Tag geht pünktlich mit dem meteorologischen Winter auch die kurze Kälteperiode zu Ende, die einige Sitzheizungsdegenerierte doch tatsächlich zu absurden Vergleichen mit dem Jahrhundertwinter 1962/63 hat hinreissen lassen. Mal sehen, was der Frühling bringt. So langsam freue ich mich auf ihn. Auch wenn man ihm als Erstes womöglich gleich das miserable Märzwetter wird verzeihen müssen...
Höhenprofil (ungenaue Daten)
Tourdaten: Weite 63,2 km / Höhe 1760 m / Fahrzeit 5:00 h
GPS-Aufzeichnung der Tour: Weissenstein-Röti
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