Samstag, 15. Juli 2017

Alles flüssig gelaufen...

Ich liebe den Sommer. Ein normaler Sommer bringt Tageshöchstwerte von rund 25 Grad. Und von mir aus dürfte er sich gerne strikt daran halten. Doch heuer weicht er wieder stark nach oben ab. Heute sind wir exakt in der Mitte der wärmsten Jahreszeit angelangt. Und es soll für einmal ein nicht allzu heisser Tag werden. Also genau richtig, um sich nach einer strengen Arbeitswoche wieder mal aufs Bike zu setzen. Nächste Woche droht ja bereits die nächste Backofenphase dieses Sommers. Viele Leute sind bereits in den Süden gereist. Was will man hier bei 33 Grad schlottern, wenn man in Spanien bis 47 Grad haben kann?
 
Um etwa 08.45 Uhr starte ich gen Westen. Der Stadt Solothurn komme ich heute etwas näher als auch schon. Bei Langendorf verlasse ich meine Standardlinie endgültig und fahre etwas südlicher als gewohnt Richtung Selzach. Schon erstaunlich: Nur ein paar Hundert Meter weiter unten, und schon ist alles unbekannt. Sogar einen kleinen Weiher gibt es hier, den ich nicht kenne, obwohl ich einige Meter weiter oben mit sämtlichen Schnecken per Du bin. Dass ich das Dorf Selzach ganz im Norden streife, hat den Zweck, mal wieder eine zusammenhängende Steigung von über 800 Höhenmetern zu fahren. Genau das kann man hier...
 
Meine erste Idee, die Stadt Solothurn nach vielen Jahren wieder mal zu durchfahren und dann von der Aare her den Berg zu erklimmen, habe ich verworfen. Das Risiko, in der Stadt von einem Kopfhörer tragenden Velofahrer verletzt oder gar getötet zu werden, ist mir schlicht zu hoch. Bei Selzach auf 477 m beginnt nun die durchgehende Steigung, die erst auf 1292 m, kurz vor dem Althüsli, durch eine kurze Gegensteigung unterbrochen wird. Ich fühle mich wohl im Aufstieg. Es ist, als könnte ich noch ewig so hochfahren. Postkartenwetter hat es heute nicht, die Wolken sind dicht. Aber gerade das macht den Aufstieg für mich angenehm...

Weiher zwischen Bellach und Selzach
Weiher oberhalb von Bellach
Sonnenblumenfeld bei Selzach
Kurz vor Selzach
Althüsli, 1318 m
Am höchsten Punkt der Tour...

Vom Althüsli auf 1318 m geht es zunächst auf einem sauberen Naturweg, dann auf einem bachbettartigen Karrweg abwärts, der auf 1066 m unauffällig die Kantons- und Sprachgrenze überquert. Ein stark ausgewaschener Singletrail führt jetzt in eine Schlucht hinab. Es folgt ein weiterer, auf der Karte nicht markierter Singletrail, kurz darauf ist die Binzbergstrasse unterhalb des Hofes Guibou erreicht. Kurz etwas Teer, schon geht es hoch zum Graitery, einem kaum bekannten Berg. Obwohl für mich das Gebiet zwischen Graitery und Oberdörferberg als bikemässiges "Nullgebiet" gilt, bin ich gerne alle paar Jahre mal hier…
 
Der "Sommet" des Graitery auf 1280 m liegt unspektakulär auf einer leicht ansteigenden Wiese ohne Aussicht. Ein Weg ist dort nicht wirklich. Eher sind es Traktor- und Tierspuren. Im Anschluss fahre ich über eine Wiese, wo eigentlich wieder ein Wanderweg sein sollte. Nur wo? Mit Distanz folge ich zwei Wanderern, die wohl auch auf Wegsuche sind, mitten durch die Prärie. Plötzlich kommt weiter unten ein Bauer in mein Blickfeld – und ich in seins. An ihm muss ich vorbei. Meine Sorge, in Kürze ein paar neue französische Wörter zu lernen, zerschlagen sich aber. Er sagt nur ein mir bekanntes Wort: bonjour. Und das sehr freundlich...
 
Jetzt noch wenige Meter, und ich erreiche ein Naturfreundehaus. Hier müsste sich der Blick auf Moutier öffnen. Bei der Hütte sitzen etwa acht Leute an einem Tisch. Zwei davon telefonieren. Ich werfe ihnen eines der drei Wörter meines französischen Wortschatzes entgegen: bonjour. Das Oktett erwidert meinen Gruss freundlich mit dem gleichen Wort. Fast wie ein Chor tönt es aus acht Mündern. Sogar die beiden Telefonierenden unterbrechen ihr Gespräch rasch, um mich zu begrüssen. Erfahrungsgemäss hätte es in der Deutschschweiz bei dieser Konstellation maximal für ein Quartett gereicht...
 
Die Mentalität ist im frankophonen Teil unseres Landes einfach anders. Nach meiner bisherigen Erfahrung erfrischend anders. Vielleicht waren es ja auch Béliers, die seit dem 18. Juni 2017 immer noch in Feierlaune sind. Denn da unten kommt sie ins Bild: Moutier – die Stadt mit 51 Prozent überglücklichen Einwohnern. Die Schafböcke haben nach langer Zwängerei, pardon nach langem Kampf gegen die Wildschweine obsiegt. Und so JU-beln die einen, während die anderen zutiefst BE-trübt sind. Nun sei die Jurafrage endgültig geklärt, sagt der Kanton Bern. Ganz sicher. Und die Erde ist eine Scheibe, oder?

Kurz vor der Sprachgrenze...
Weg bei Schwelli
Ausblick beim Naturfreundehaus Graitery
Blick auf Moutier vom Graitery
Restaurant? Das war mal...
(L'Ancien) Restaurant du Graitery
 
Nach kurzem Aufenthalt beim Naturfreundehaus geht es am "Restaurant du Graitery" vorbei. Es zeigt sich, dass da längst nicht mehr drin ist, was draufsteht. Die besten Zeiten des Hauses sind sichtlich passé. Auf Wegen unterschiedlicher Beschaffung fahre ich runter und rüber zum Binzberg, der wieder im Solothurnischen liegt. Meine Streckenführung über den Graitery sieht auf der GPS-Aufzeichnung aus wie die Flugroute einer Stubenfliege. Nach einer kurzen Pause wartet noch der Weissenstein. Dort oben ist überraschend wenig los an diesem Samstag. Ferienzeit eben. Ich bike runter zum Balmberg und ganz runter an die Aare...
 
Bei der Fahrt der Aare entlang Richtung Deitingen verspüre ich einen Stich im rechten Oberschenkel, der definitiv von etwas Grösserem als einer Bremse stammen muss. Als Bienenallergiker sollte ich da dringend mal nachschauen. Einen Stachel kann ich in der Wunde nicht erkennen. Dennoch nehme ich sicherheitshalber das Mittel gegen die Allergie ein, auch wenn dieses in unangenehmer Weise abführend wirken kann. Aber lieber das, als dass ich selbst abgeführt werde. Nach rund 92 Kilometern ist die Tour dann ohne weitere Zwischenfälle zu Ende. Es lief alles flüssig. Wirklich alles...
 
 
Höhenprofil
 
 
 
Tourdaten: Weite 92,3 km / Höhe 2440 m / Fahrzeit 6:22 h
GPS-Aufzeichnung der Tour: Graitery
 

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