Mittwoch, 11. Oktober 2017

Auf Sumpftour...

Hurra, das lange ersehnte Herbsthoch ist da! Es soll Biker geben, die die Saison bereits für beendet erklären, sobald das letzte Kalenderblatt des Augusts abge-rissen ist. Das werde ich in meinem jetzigen Dasein wohl nie mehr begreifen. Als ob Udo Jürgens gesungen hätte: "Mit 66 Jahren da hört das Leben auf." Die heutige Runde steht eigentlich schon seit zig Jahren auf dem Plan und wurde doch immer wieder vergessen oder verschoben. Heuer hat es der September nicht zugelassen, diese "Pendenz" abzuarbeiten, also muss es der Oktober richten. Doch leider geben die Nächte mittlerweile mehr her als die Tage. Ich muss also zeitig starten, soll die Tour nicht zum längeren Nachtspiel verkommen...
 
Die mobile Bike-Beleuchtung ist auf jeden Fall Pflichtgepäck, wenn man im Oktober auf grosse Fahrt geht. Schön und vor allem in der Höhe sehr mild soll es heute werden. Daher ziehe ich die kurze Montur an und starte um 07.45 Uhr in die ungewohnte Richtung Südosten. Trotz der freizügigen Kleidung stören die 4 Grad nicht so. Nebel hat es zum Glück keinen. Die Sonne ist erst zu erahnen, aber noch nicht zu sehen. Am Aufstieg zum Steinhof strahlt sie mir erstmals entgegen. Via Riedtwil und durch die Buchsiberge geht es nach Affoltern und Sumiswald. Die Lüderenalp sorgt im Anschluss mit knapp 1200 m für einen ersten Höhepunkt, dann folgt die Abfahrt via Rämis nach Bärau. Somit wäre Langnau schon mal umfahren...
 
Morgenstimmung auf der Otterbachegg
Unterwegs nach Affoltern i. E.
Landschaft bei Senggenberg
Am Aufstieg zur Lüderenalp
Rafrüti, 1180 m
Ausblick bei der Lüderenalp Richtung Jura
 
Wenig später führt ein kurzer Singletrail von der Bäregg nach Trubschachen hinunter. Hier fahre ich an einer grossen Guetzli-Fabrik vorbei, die eine angenehm riechende Abluft verströmt. Der Ilfis folgend nähere ich mich unweigerlich dem Kanton Luzern. Der Weiler Dürrenbach befindet sich bereits im Luzernischen. Kurz darauf gibt der Kanton Bern bei Kröschenbrunnen noch ein letztes Comeback, bevor ich für längere Zeit ins Luzernische abtauche. Nachdem das Dorf Wiggen passiert ist, steht die Auffahrt zum wenig bekannten Hilferenpass an, der Marbach LU mit Flühli verbindet. Ein Papierschild informiert beim Einstieg darüber, dass die Passstrasse nicht befahrbar sei, da just in diesen Tagen eine Brücke abgerissen werde. Das hat mir gerade noch gefehlt...
 
Näher werde ich Langnau heute nicht mehr kommen...
Langnau i. E. ist umfahren
Weg an der Ilfis bei Kröschenbrunnen
Bei Kröschenbrunnen
Kurz vor Wiggen
Bei Wiggen
 
Einen Plan B habe ich nicht, ich muss und will über diesen Pass – und zwar auf direktem Weg! "Nicht befahrbar" heisst ja nicht zwingend "nicht begehbar", denke ich mir und fahre mal weiter. Das Infoschild wiederholt sich mehrmals. Einige Brücken habe ich bereits erfolgreich hinter mir. Die Hoffnung, die Arbeiten hätten ja vielleicht doch noch nicht begonnen, wird mir etwas genommen, als auf etwa 1200 m ein blaues Firmenfahrzeug eines grossen Bauunternehmens entgegenkommt. Ich warte nur darauf, dass das Gefährt stoppt und mir jemand zuruft, ich könne da nicht durch. Doch das passiert nicht. Schliesslich erreiche ich die Absperrung. Die Brücke steht zwar noch, aber ganz offensichtlich ist der Rückbau im Gang...

Für Fussgänger hat es eine provisorische Umleitung: Runter in den Graben, durchs Bachbett und auf der anderen Seite wieder hoch. Kraxelübungen mag ich auf Spaghetti-Touren nicht so. Es ist kurz nach 12.00 Uhr. Ich sehe mich um. Anscheinend Mittagspause, weit und breit kein Mensch. Die sind wohl alle in besagtem blauen Firmenfahrzeug auf dem Weg nach unten. E Guete, wünsche ich. Ich analysiere die Situation – und treffe eine Entscheidung. Wenig später setze ich die Fahrt auf der anderen Brückenseite fort und erreiche kurz danach auf gut 1300 m die Passhöhe. Eine tolle Bergwelt öffnet sich einem! Ab hier ist der Hilferenpass für einige Hundert Meter ein Saumpfad – nur zu Fuss oder per Bike zu meistern, bevor es auf der anderen Seite wieder auf Teer weitergeht...

Ich nehme aber nicht den eigentlichen Übergang, sondern den teils sumpfigen Wanderweg nach Unteregghütten, der etwas weiter südlich verläuft. Im Entlebuch wandert oder bikt man nicht über Stock und Stein, eher über Sumpf und Stein. Ein paar Meter auf Teer, dann folgt bei Schwändi ein weiterer Singletrail Richtung Thorbach. Nach der Umfahrung von Flühli erreiche ich über die ebenfalls sumpfige Gloggematt den bekannteren Ortsteil der Gemeinde Flühli: Sörenberg. Hier ist es bei Kilometer 76 Zeit, die Trinkvorräte aufzufüllen. Die vielen Parkplätze sind bestens besetzt. So ziemlich alle Schweizer Kantonskürzel sieht man hier, am seltensten ist LU. Nach einer guten Vierteilstunde geht es weiter. Es wartet der höchste Punkt der Tour: die Blattenegg auf 1635 m...
 
Landschaft beim Hilferenpass auf 1300 m
Hilferenpass
Nahe Thorbach, Flühli LU
Bei Flühli LU
Gloggematt zwischen Flühli und Sörenberg
Gloggematt
 
Die Pause hat mir nicht gut getan. Ausgerechnet jetzt, wo die steilste Passage des Tages ansteht, gerate ich aus dem Rhythmus. Und das erst noch vor vielen Zeugen. Wie ein Greenhorn am Rothorn komme ich mir vor. Aber da muss ich durch bzw. drüber. Auf 1400 m umrunde ich einen kleinen See, dann wechselt der Belag von Teer auf groben Schotter, und es wird auf den letzten Metern richtig steil. Problematischer als die Steigung ist für mich aber die Unterlage. Ich fahre jeden Höhenmeter – irgendwie. Aber ich komme in den roten Bereich und erreiche mit gefühlt 247 Puls die Blattenegg. Wieder mal hat der Kopf gesagt, was läuft bzw. fährt. Doch der Körper schlägt häufig zurück. Wenn ich mal in den roten Bereich komme, riskiere ich, dass es mich im Anschluss komplett zerlegt...
 
Die ersten Häuser von Sörenberg kommen ins Bild
Kurz vor Sörenberg
Sörenberg mit Schrattenfluh im Hintergrund
Sörenberg mit Schrattenfluh
Bergseeli zwischen Sörenberg und Blattenegg
Bergsee ob Sörenberg
 
Aber vor der Zerlegung mache ich noch ein paar Fotos, denn die Gegend hier ist einfach herrlich. Eine gute Schotterstrasse führt schliesslich hinab zum Salwideli. Auf einem kurzen, sehr matschigen Singletrail rutsche ich zum Wagliseiboden hinunter. Der Weg ist aber wegen der Breite eher ein Doubletrail als ein Singletrail. Via Schneebergli bike ich hinab zum Kemmeribodenbad, das einerseits wieder im Kanton Bern, andererseits aber auch schon im Schatten liegt. Die Tage sind empfindlich kurz geworden. Daher verzichte ich auf die berühmten Meringues des Hauses und nehme den mit etlichen Zäunen und Gattern gespickte Weg durch den Bumbach nach Schangnau unter die Stollen. Die Unwetterschäden von 2014 sind hier stellenweise noch zu erkennen oder zumindest zu erahnen...
 
Blattenegg, ca. 1640 m
Blattenegg, Blick Richtung Sörenberg
Blatten mit Schrattenfluh im Hintergrund
Blattenegg mit Schrattenfluh
Blick zurück nach Blatten und zum Rothorn
Blick zum Rothorn
 
Mein Körper meint es heute recht gut mit mir: Die erzwungene K(r)ampfeinlage an der Blattenegg hat zwar zweifellos Spuren hinterlassen, mich aber nicht komplett umgehauen. Es ist mehr eine Art "Zerlegung light": Ich bin zwar etwas müde und langsamer, aber es ist noch gut auszuhalten. Die letzte Pause des Tages lege ich in Schangnau ein, da ich nicht weiss, ob die Läden in Eggiwil noch offen sein werden. Ein kurzer Anstieg führt im Anschluss zum letzten Mal auf über 1000 m. Danach sollte ich diese Höhenlinie genauso nicht mehr sehen wie die Sonne, die bereits hinter den Hügeln verschwindet. Beim Pfaffenmoos biege ich auf den Wanderweg ein, der im Bereich des Schopfgrabens häufig als Singletrail verläuft. Hier ist es schon ziemlich dunkel...
 
Schöne Landschaft auf dem Weg zum Salwideli
Unterwegs zum Salwideli
Auf dem Weg zum Kemmeribodenbad
Schneebergli
Zwischen Kemmeribodenbad und Schangnau
Bumbach
 
Bei Sorbach ziehe ich es vor, den Wanderweg für einige Meter zu verlassen, da mich zwei gestörte Köter ankläffen nach dem Motto: Wer kann lauter? Das mittlerweile komplett im Schatten liegende Eggiwil passiere ich im Anschluss einigermassen humorlos. Kurz vor Schüpbach schickt mir die Sonne, die hier noch knapp über den Hügel scheint, einen letzten, kurzen Gruss. Fast so, als wollte sie sich verabschieden. Ich folge der Emme bis zum Ranflühsteg bei Zollbrück, wo ich per Smartphone eine Kurznachricht nach Hause sende mit dem Inhalt "Zollrückvergütungen". Geschrieben habe ich zwar Zollbrück, aber die extrem nützliche, praktikable Autokorrektur weiss es natürlich besser und korrigiert ungefragt. Moment: Schon in Sörenberg habe ich doch eine Meldung nach Hause geschickt...

Ich muss prompt mal schauen, was die moderne Spitzentechnik aus dem Wort Sörenberg gemacht hat. Etwa Smörrebröd? Nein, das Gerät hatte zu wenig Fantasie und entschloss sich, die Nachricht korrekt zu übermitteln. Beim Ranflühsteg montiere ich das Licht ans Bike. Danach folgt bei Ranflüh eine kurze Steigung von gut 100 Höhenmetern und wenig später nahe Sumiswald die letzte spürbare Auffahrt zur Schaufelbühlegg. In Affoltern ist es schliesslich zappenduster. Jetzt fehlt exakt die Stunde Tageslicht, die dem Oktober im Vergleich zum September abgeht. Aber letzterer hat dieses Jahr wettermässig versagt. Und irgendwie hat das Ausfahren bei Dunkelheit nach einer langen Tour auch etwas Entspannendes. Mein "Darkride" führt über die Lueg und runter nach Wynigen...

Am Schluss nehme ich noch spontan den Steinhof in Angriff, um mit Schwung die letzten zwei Kilometer nach Hause zu bewältigen. Die 60 Höhenmeter spielen sowieso keine Rolle mehr. Endlich stabiles Herbstwetter, endlich die über Jahre immer wieder geplante Sumpftour durchgezogen. Aufgeschoben ist eben nicht aufgehoben. In diesem Sinne: Entlebuch, alles gut...
 
 
Höhenprofil
 
 

Tourdaten: Weite 163,0 km / Höhe 3730 m / Fahrzeit 10:28 h
GPS-Aufzeichnung der Tour: Hilferenpass-Sörenberg-Blattenegg
 

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