Die Sonne ist und bleibt ein rarer Gast. "Heute ein paar Aufhellungen", hiess es im gestrigen Wetterbericht. Ans Christkind glaube ich eventuell gerade noch, aber an Aufhellungen? Das hätte ja mit Sonne zu tun! Ich lasse mich aber gerne überraschen. Auf 1000 m liegt mittlerweile über einen halben Meter Schnee, teils stark verweht. Damit dürften mir die Skifahrer zwischenzeitlich überlegen sein, aber das will ich erst mal sehen. Im Flachland liegt ebenfalls ein halber Meter – Morast, versteht sich. Und das bisschen Schnee, das letzte Nacht gefallen ist, hat unterhalb von 500 m auch nicht gross angesetzt...
Damit ich es nicht verlerne, schwinge ich mich im Laufe des Vormittags wieder mal auf das dicke Bergfahrrad und fahre Richtung Norden davon. Rund 0 Grad hat es. Nach etwa einer Stunde biege ich ins Thal ab und rolle auf Laupersdorf zu. Bis hierher war das nur wenig winterlich. Im Dorf nehme ich einen mir unbekannten Weg bergwärts. 50 Höhenmeter reichen bereits, und schon ist dieser zunehmend von unberührtem Schnee bedeckt. Und die Schneedecke wächst rasant an. Bei Grossrieden folgt eine kurze Tiefschnee-Abfahrt. Danach biege ich auf die Tannmatt-Strasse ein. Eine glatte Sache, wahrhaftig...
Ab und zu dreht das Hinterrad durch, aber insgesamt ist der Aufstieg recht problemlos. Viel ist nicht los hier, trotz Sonntag. Einer Fussgängerin begegne ich, fertig. Mit jedem Höhenmeter wird die Schneedecke dicker. Bei der Tannmatt auf 1122 m folgt ein kurzer Downhill, dann geht es via Mieschegg zum Hinteren Brandberg, dem heutigen Touren-Höhepunkt. Im Sommer würde ich kaum alles auf der Strasse fahren. Aber bei so viel Schnee ist das die einzige Möglichkeit; zudem ist sie abenteuerlich genug. Festen Belag habe ich sowieso nie unter den Stollen, im Gegenteil....
Beim Hinteren Brandberg dann die Sensation: Für einige Sekunden zeigt sich die Sonne! Ein Naturspektakel sondergleichen. Es gelingt mir sogar, an Ort und Stelle ein Zufallsfoto zu machen, bevor sie wieder verschwindet. "Heute ein paar Aufhellungen", sagte der Wetterfrosch. Das sind doch streng genommen mindestens zwei, oder? Dann hätte ich ja noch eine zugut. Stattdessen setzt jedoch wenig später Schneefall ein. Obwohl es hier auf 1162 m nicht sonderlich kalte minus 5 Grad hat, friert es mich ein wenig an den R…, sobald ich mich nicht mehr bewege...
Auf dem Dach des Restaurants sieht man eindrücklich, wie der Wind den Schnee in den letzten Tagen verweht hat. Eigentlich habe ich eine alternative, nicht sehr steile Tiefschnee-Abfahrt im Sinne, aber bei etwa 50 bis 80 cm Schnee ist der Drops gelutscht. Also nehme ich die "normale" Abfahrt nach Welschenrohr in Angriff. Nach dem Probstenberg wird diese anspruchsvoll genug: Der recht steil talwärts führende Weg ist tief schneebedeckt und mit Spuren übersät, so dass selbst dem Fattie zu Beginn alles abverlangt wird. Doch so schnell die Schneedecke beim Hochfahren angewachsen ist, verliert sie beim Downhill auch wieder an Substanz...
Nach etwa einem Kilometer im Schneckentempo wird das Fahren wieder einfacher. Kurz vor Welschenrohr hört auch der Schneefall auf. Jetzt steht nur noch die Schmiedenmatt zwischen mir und der Dusche. Auf einem schmalen Strässchen geht es raus aus Welschenrohr und rein in die Schmiedenmatt-Auffahrt. Ausgangs des Dorfes spielen zwei Kinder am Strassenrand im Schnee. Plötzlich donnert so ein supercooler Aufpicker (besser bekannt unter dem englischen Begriff Pick-up) an den Kindern und mir vorbei, dessen stolzer Fahrer ganz offensichtlich mehr PS als Hirnzellen sein Eigen nennen darf...
Er gibt so viel Gas, dass er in einer Kurve ins Schlingern gerät. Einige Hundert Meter weiter erklärt mir der Fahrer, er könne nicht anders, da er sonst steckenbleiben würde. Schwer zu glauben, dass man mit einem solchen Panzer bei leichter Steigung in so wenig Schnee steckenbleibt. Dass er nicht anders kann, glaube ich hingegen vorbehaltslos. Da fällt mir ein: Ist man eigentlich in Bern endlich einen Schritt weiter in Sachen Kopfhörer-Verbot für diese gemeingefährlichen Velofahrer? Steht der Bussenkatalog? Hinter dem Hof Sollmatt ziehen sich die nächsten dicken Wolken zu einer Aufhellung zusammen...
Ich fahre regelrecht in eine graue Wand, und bald darauf setzt wieder ein herzhafter Schneeschauer ein. Allerdings kommt mir dieser auf der spiegelglatten Schmiedenmatt-Strasse gar nicht mal so ungelegen, da der Schnee für ein bisschen Grip sorgt. Auf der Schmiedenmatt sehe ich linker Hand ganz kurz blauen Himmel – da ist sie tatsächlich, die zweite Aufhellung. Das hindert den Schneefall allerdings nicht, noch stärker zu werden. Zudem fahre ich in die falsche Richtung, nämlich ins Graue, satt ins Blaue. Erst bei der Passhöhe auf 1074 m lässt der Niederschlag kurzzeitig etwas nach...
Hier warnt mich ein umsichtiger Fussgänger, ich solle aufpassen, es sei gefroren. Damit liegt er wohl richtig, vermute ich. Ist die Tiefschnee-Abfahrt von Wüestrüti nach Farnern noch möglich? Wahrscheinlich nicht, aber Probieren geht bekanntlich über Studieren. Und siehe da, es geht. Wunderbar geräuschlos zieht das Fattie seine Spur in den Schnee. Im oberen Bereich gleitet es förmlich hindurch. Auf halbem Weg kreuze ich die Passstrasse, wo ein paar einigermassen verwunderte Schlittler stehen. Ich bin wahrlich nicht der Typ, der gerne Blicke auf sich zieht, ganz im Gegenteil. Aber hier liess es sich leider nicht vermeiden...
Der untere Bereich ist etwas weniger steil. Unter der dünnen Schicht Pulverschnee liegt eine dicke Schicht Betonschnee. Diese trägt mich nur noch teilweise. Ab und zu gibt sie etwas nach, so dass es mehr ruckelt als fährt. Ein kurzer, aber heftiger Spass. Denn die rund 200 Höhenmeter bis Farnern sind rasch vernichtet. Nachdem das Dorf passiert ist, folgt die Abfahrt nach Wiedlisbach, ebenfalls noch teilweise im Tiefschnee. Erst auf etwa 600 m wird die Schneedecke allmählich etwas zu dünn, so dass ich wieder zur "Normallinie" wechsle, um auch bloss keinen Grashalm zu knicken...
In Wiedlisbach fallen die Schneeflocken deutlich schneller vom Himmel als noch bei der Schmiedenmatt, aber auch weniger zahlreich. Allzu viel Weiss liegt hier nicht mehr. Der Rest der Tour ist dann nicht mehr das Gelbe vom Ei. Eher das Braune vom Weg: An der Aare ist es derart morastig, dass ich im Schritttempo fahre. Der Schneefall hört ganz auf, dafür kommt der Nebel. Wird es an Weihnachten Schnee im Flachland geben? Nein, tippe ich. Aber vielleicht ein paar Aufhellungen…
Höhenprofil
Tourdaten: Weite 70,2 km / Höhe 1850 m / Fahrzeit 5:19 h
GPS-Aufzeichnung der Tour: Tannmatt-Schmiedenmatt
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