Gespenstische Stimmung da draussen: Es ist alles ruhig, der Himmel dezent bläulich. Ab und zu ist ein greller Punkt zu sehen. Dazu kaum Wind, geschweige denn Sturm. Und es soll den ganzen Tag trocken bleiben. Ungewohnt, fast schon unheimlich. Zwei Sachen stehen heute zur Auswahl: Spannende WEF-Reden anhören, bei denen mit Privatjets, Helikoptern und Limousinen angereiste Leute von Nachhaltigkeit sprechen oder aber ab aufs Bike. Nach langem Zögern entscheide ich mich für das Zweite. Leider ist es schon fast Mittag, als ich starte...
Heute will ich eine Tour fahren, die schon lange für einen lauen Tag im schneelosen Hochwinter vorgesehen ist. Eine Art Evergreen – im doppelten Sinne. Keine grosse Sache; eine klassische Januar- oder auch Februar-Tour halt. In südöstlicher Richtung fahre ich davon, lande etwas anders als geplant auf dem Lindenpass und mache mich via Kleindietwil und Rohrbach auf nach Huttwil. Das "Blumenstädtchen" streife ich aber nur ganz im Westen. Die Sonne scheint und setzt mir ein leichtes Grinsen auf. Aus Freude, nicht aus Unglauben!
Ich fahre via Schwarzenbach und Belzhöhe nach Eriswil, das ich auf einem neu angelegten Wanderweg, einem kurzen Singletrail, erreiche. Bis hierher führte die Strecke kaum durch den Wald; die Wege sind entsprechend nicht mehr ganz so morastig. Trotz eines verdächtigen Knurrens im Magenbereich verzichte ich auf eine Pause in Eriswil. Der Hunger wird ohnehin bald gestillt. Zu fressen gibt es jetzt nämlich ein paar Höhenmeter. Was meine Verpflegungsmethodik während des Bikens anbelangt, feiere ich gerade ein Jubiläum: 15 Jahre Unbelehrbarkeit...
Mein erstes Ziel ist das Ahorn. Für den Aufstieg wähle ich ausnahmsweise die Strasse, wenn auch mit ein paar kurzen Umgehungsvarianten. Im Winter darf es auch mal Teer sein, zumal ich damit einigermassen sichergehe, das Ziel ohne Kletterübungen zu erreichen. Unmittelbar vor dem Ahorn wechselt das Kantonswappen: Der Berner Bär läuft aus dem Bild, der Hintergrund verfärbt sich blau-weiss – passend zum Himmel. Willkommen im Kanton Luzern. Das Restaurant befindet sich bereits auf Luzerner Boden. Ich bin am Höhepunkt meiner Tour angelangt, auf gut 1100 m...
Schnee? Nee! Und das trotz eisigen 6 Grad plus. Untertreiben darf ich jetzt aber nicht: Immerhin ein Schneefeld muss ich kurz nach dem Restaurant überqueren. Dann geht es auf einem schattigen und noch leicht schneebedeckten Singletrail sanft hinab zum Werniseggweidli, wo ich wieder an die Sonne gelange. Auf der Wernisegg habe ich wider Erwarten nicht Kies, sondern Beton unter den Rädern. Nicht gerade der Traum jeden Bikers, aber was soll's. Mir gefällt es hier. Völlig unbekanntes Terrain für mich, obwohl ich ringsherum schon war. Heute wird gewissermassen eine Wissenslücke gefüllt...
Bei der Fahrt über die Wernisegg vernichtet man nur zögerlich Höhenmeter. Zwei, drei Kilometer lang bleibt die Höhe noch vierstellig. Der sogenannte Wanderweg über den Höchstutz, gemäss Karte ein kurzer Singletrail, ist dann für Geschichtsliebhaber interessant: So in etwa muss es nach der Schlacht bei Sempach ausgesehen haben, als die Gefallenen abgeführt waren. Ein einziges Schlachtfeld. Also Plan B: zurück zur Strasse. Die Sicht zu den Alpen ist recht klar. Ist da wohl schon wieder der Föhn im Spiel? Via Hintergernet und Mettmenegg geht es hinab nach Hofstatt...
Der Blickt schweift abwechselnd Richtung Alpen und Jura. Nach Hofstatt folgt nochmals ein kurzer Aufstieg. Hier kenne ich mich vorübergehend wieder aus. Der Berner Bär kommt kurz zurück ins Bild, läuft jedoch wenig später wieder weg. Es geht nämlich wieder auf Luzerner Hoheitsgebiet auf unbekannten Wegen hinab nach Huttwil. Bei Oberebnet fahre ich durch eine Gruppe Chinesen, die sich gegenseitig freudig fotografieren. Haben die sich verfahren? Die Rigi ist weiter östlich. Kurz nach den Asiaten biege ich auf einen Waldweg ein. Dieser ist im wahrsten Sinne des Wortes flüssig zu fahren...
Kurz vor Huttwil verabschiede ich mich endgültig vom Kanton Luzern. Diesmal streife ich den Ort am östlichen Ende, indem ich direkt zum Huttwilberg hinauffahre. Huttwilberg tönt nach mehr, als er ist, erhebt er sich doch nur etwa 100 Meter über dem Städtchen. Der Magen knurrt mittlerweile deutlich bestimmter, und prompt beginnt es mich allmählich zu zerlegen. Das war sehr gut abzusehen. Dennoch gelingt es mir, die Fahrt über die Höhe und die morastige Abfahrt nach Madiswil einigermassen zu geniessen. Flach wie eine Flunder nehme ich mir allen Ernstes vor, auch noch die restliche Strecke ohne Verpflegung durchzuziehen...
Darüber schüttle ich im Nachhinein, während ich diesen Text schreibe, auch den Kopf. Die Einsicht wäre also da, aber immer zu spät. Macht Adrenalin eigentlich unzurechnungsfähig? Nur ein geschlossener Bahnübergang bringt mich in Madiswil doch noch dazu, einen Riegel zu kaufen und sogar zu verzehren. Danach gebe ich mir den Rest (der Tour). Ein schönes Fährtchen trotz allem. Es war die richtige Entscheidung, raus zu gehen, statt sich den WEF-Reden zu widmen. Um die etwas steife Veranstaltung etwas zu lockern, hat man übrigens extra den besten US-Komiker nach Davos geladen. Übermorgen soll sein grosser Auftritt sein...
Apropos übermorgen – zum Schluss noch etwas Dramatik: Ich habe heute festgestellt, dass einige Seen auf den Feldern bereits alarmierende Tiefstände erreicht haben. Und auf den Wegen bilden sich bereits erste trockene Stellen. Aber keine Sorge: Spätestens übermorgen dürfte es wieder Nachschub des kostbaren Nasses geben. Das amerikanische Wettermodell meldet übrigens pünktlich ab Februar richtiges Winterwetter mit Kälte und Schnee bis ins Flachland! Aber ich denke, hier Trumpiert es sich gewaltig…
Höhenprofil
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